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Aufgefallen 6. April 2024 | Arn Strohmeyer

Arn Strohmeyer

Getreu der zionistischen Weltanschauung

Israels brutales Vorgehen im Gazastreifen folgt genau den Kernaussagen der zionistischen Ideologie

Die extrem brutale zionistische Gewalt, die Israel im Gazastreifen ausübt, wird nun sogar von Regierungen kritisiert, die sonst eigentlich loyal hinter Israel stehen. Die israelische Armee hat inzwischen bei ihrem Vorgehen nicht nur eine, sondern alle nur denkbaren roten Linien bezüglich Gewaltausübung überschritten. Die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, hat das jetzt bestätigt, sie sieht „vernünftige Gründe für einen Völkermord im Gazastreifen“. Das israelische Vorgehen zeige regelrechte Muster der Gewalt. Militär und Regierung verstießen bewusst gegen das Kriegsrecht in dem Versuch, die völkermörderische Gewalt gegen das palästinensische Volk zu legitimieren. Israel reagierte mit Empörung auf diese Anklage und bestritt natürlich die Vorwürfe.

Seltsamerweise wird in der medialen Kommentierung des vernichtende Gewaltgeschehens im Gazastreifen nie gefragt, warum Israels so unerbittlich und grausam vorgeht. Dabei ist die Antwort sehr einfach: Israel setzt in diesem neuen Krieg wie schon in vielen vorherigen die Ziele seiner Staatsideologie – des Zionismus – konsequent und blutig in die Tat um.

Der israelische Historiker Ilan Pappe hat schon vor Jahren in seinem Buch Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des Zionismus (in Deutschland 2016 erschienen) die stufenweise durchgeführte gewaltsame Vorgehensweise gegen den Gazastreifen, die Israel auch jetzt wieder angewandt hat, beschrieben: „Vom ‚Ersten Regen‘ bis zu den ‚Herbstwolken‘ [Bezeichnungen früherer Angriffe auf den Gazastreifen] kann man in jedem Parameter eine Eskalation beobachten. In einem ersten Parameter finden wir das Verschwinden der Unterscheidung zwischen ‚zivilen‘ und ‚nicht-zivilen‘ Zielen: Das sinnlose Töten hat die Bevölkerung als Ganzes zum Hauptziel der Operationen der israelischen Armee gemacht.

Der zweite Parameter zeigt eine Eskalation der Mittel: den Einsatz sämtlicher Tötungsmaschinen im Besitz der israelischen Armee. Drittens sticht die Eskalation im Hinblick auf die Anzahl der Opfer hervor: Zumeist wurde mit jeder neuen Operation eine noch höhere Zahl von Menschen getötet oder verwundet. Und schließlich, und das ist der wichtigste Punkt, verwandelten sich die Operationen in eine Strategie – eine Strategie, die zeigte, wie Israel das Problem des Gazastreifens zu lösen gedenkt, nämlich durch eine sorgfältig dosierte Politik des Völkermordes.“

Das Ergebnis von Israels früheren Kriegen im Gazastreifen hat der Bericht des UN News Centers am 1. September 2015 so zusammengefasst: „Drei israelische Militäroperationen in den letzten sechs Jahren und acht Jahre wirtschaftliche Blockade haben die bereits verkrüppelte Infrastruktur des Gazastreifens verwüstet, seine Produktionsbasis zerstört, keine Zeit für sinnvollen Wiederaufbau oder ökonomische Erholung gelassen und die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen zu Bettlern gemacht, deren wirtschaftliche Situation heute schlechter ist als noch vor zwanzig Jahren.“

Die deutsch-israelische Historikerin Tamar Amar-Dahl hat ein Buch über die zionistische Ideologie verfasst (Das zionistische Israel. Jüdischer Nationalismus und die Geschichte des Nahostkonflikts). Aus ihren Angaben erklärt sich der weltanschauliche Hintergrund der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen sehr gut. Ein Kernelement dieser Ideologie ist die tiefe Verachtung der Palästinenser. Sie sind die „Anderen“, die es zu verdrängen oder zu vertreiben gilt. Sowohl physisch (…) als auch aus dem Bewusstsein. Die Palästinenser stellen die „out-group“ der zionistischen Utopie dar, da sie auf dem den Juden in der Thora (Alte Testament) verheißenen Land leben.

Der frühere israelische Spitzenpolitiker Shimon Peres betrachtete die Araber bzw. die Palästinenser aus einer eindeutig rassistischen Perspektive als „böswillig, unterlegen, nicht kompromisswillig; sie neigten dazu, die Wahrheit zu verdrehen und zu hetzen. Sie seien primitiv und um ihre Würde bemüht, aggressiv, ungebildet und sozial rückständig.“

Der erste israelische Ministerpräsident Ben Gurion teilte dieses bipolare Weltbild. Die menschliche Gattung bestand für ihn aus „Guten, Starken und Zivilisierten“ auf der einen Seite und den Zurückgebliebenen und Schwachen auf der anderen Seite. Zu letzteren gehören natürlich die Palästinenser. Aus dieser Sicht leiten die Zionisten auch ihren Anspruch auf die Vorherrschaft und Dominanz in der nahöstlichen Region ab. Sie soll durch eine geopolitische „Umstrukturierung“ erreicht werden – also mit militärischen Mitteln.

Aus der Verachtung der Palästinenser als primitiv und rückständig folgt automatisch, dass sie kein ebenbürtiger und gleichberechtigter Partner für Verhandlungen oder einen Friedensvertrag sind. Deshalb sind Verhandlungen mit ihnen nur sehr bedingt möglich. Wörtlich schreibt die Autorin: „Israels Verständnis des zionistischen Projekts als jüdischer Staat für das jüdische Volk im Land der Juden bedeutet angesichts der existierenden binationalen Verhältnisse unweigerlich die Errichtung einer systemimmanenten Gewaltordnung.“ Diese existiert als Besatzung seit der Gründung des Staates 1948 – bis 1966 über die nach der Nakba im Land gebliebenen Palästinenser, seit dem Krieg 1967 über die Palästinenser in den besetzten Gebieten.

Aus der totalen Verachtung der Palästinenser ergeben sich weitere Schlussfolgerungen:

Erstens: Der Zionismus versteht den Konflikt mit den Palästinensern als gegeben und unveränderlich. Damit wird er letztlich entpolitisiert, das heißt, die Ursachen des Konflikts werden nicht in der eigenen Politik, den Kriegen, der Eroberung, Besatzung, Unterdrückung, Siedlungs- und Bevölkerungspolitik, sondern nur in der „umfassenden Feindseligkeit“ und in der „Mentalität der Anderen [der Palästinenser] bzw. der Araber gesehen. Mit anderen Worten: Israel bestreitet, mit den Ursachen des Konflikts irgendetwas zu tun zu haben. Für den Konflikt sind allein die „Anderen“ verantwortlich.

Zweitens: Das Recht auf Gewalt wird aus dem Holocaust und auch aus dem „Unabhängigkeitskrieg“ von 1948 abgeleiteten Glauben gerechtfertigt, dass es sich bei der Feindschaft mit den Palästinensern um die Fortsetzung der aus dem Judenhass hervorgegangenen Leid- und Verfolgungsgeschichte des jüdischen Volkes in Europa handelt. Die Palästinenser sind für die Zionisten die „neuen Nazis“. So wurde Jassir Arafat zum Beispiel immer als der neue Hitler angesehen – eine psychische Übertragung , die die siedlerkolonialistische Realität als Ursache des Konflikts in Israel/Palästina völlig leugnet.

Drittens: Der Sicherheit des Staates wird alles Andere untergeordnet. Sicherheit ist das Kennzeichen der israelischen Gesellschaftsordnung und einer ihrer unantastbaren Glaubenssätze. Sicherheit ist die absolute Grundvoraussetzung für die nationalstaatliche Existenz. Der Krieg ist deshalb positiv konnotiert, weil er die Nationalstaatlichkeit sichert. Die Autorin schreibt: „Das israelische Kollektiv ist sowohl institutionell (Politik, Militär, Gesellschaft, Wirtschaft, Industrie und Rechtssystem) als auch mental bzw. politisch kulturell auf Krieg fixiert. Der Krieg ist in zionistischer Sicht integraler Bestandteil der nahöstlichen Realität.“

Aus dem Sicherheitsargument leiten die Zionisten ihr Recht auf „aktivistische Verteidigung“, ,,Präventivkrieg“, „Vergeltung“, „Selbstverteidigung“ und „Abschreckung“ ab. Frieden kann es für den Zionismus nur geben, wenn Israel sich Respekt verschafft, indem es die arabischen Staaten und auch die Palästinenser von seiner Stärke und Unbesiegbarkeit überzeugt, wozu natürlich eine überlegene Armee und Waffentechnik gehören. (Ariel Sharon hat einmal gesagt: „Sie – die Araber – müssen Angst vor uns haben.“ Das ist das israelische Verständnis von Abschreckung.) Daraus ergibt sich auch das zionistische Verständnis von Frieden. Er ist nur möglich, wenn Israel die Kontrolle über die Palästinenser behält, weil sie einem wirklichen Frieden mit Israel in ihrer Rückständigkeit nicht gewachsen sind. Immer wieder betonen die Zionisten deshalb, dass es für sie keinen Gesprächspartner für Frieden gebe. Letzten Endes sei Frieden nur dann möglich und erreichbar, wenn man sich der Palästinenser entledige.

Gewalt gegen die Gojim [Nicht-Juden], wie ungezügelt auch immer, wird als legitim angesehen. Der Konflikt mit den arabischen Nachbarn und den Palästinensern wird als eine gegebene, unveränderliche Tatsache angesehen, wie die ablehnende Haltung der neuen Gojim gegenüber den „Juden“ als jenseits von historischen Entwicklungen aufgefasst wird. Da der Konflikt mit den Palästinensern einzig aus der „umfassenden Feindseligkeit“ der „neuen Gojim“ herrührt, also in der Gewalt der „Anderen“ seine Ursache hat, ist er unlösbar.

Das schließt einen Friedensschluss mit den Palästinensern aus. Einen Frieden mit ihnen kann es auch deshalb nicht geben, weil dadurch der wichtigste zionistische Gründungsmythos außer Kraft gesetzt würde. Denn Eretz Israel [Groß Israel] wird als das ausschließliche Land des jüdischen Volkes angesehen, deshalb kann Israel das Selbstbestimmungsrecht der auf diesem Territorium lebenden Palästinenser nicht anerkennen. (Genau das steht auch im israelischen Nationalstaatsgesetz von 2019: Nur Juden üben auf diesem Territorium das Selbstbestimmungsrecht aus.) Das ist auch der Grund, warum Israel die Gründung eines palästinensischen Staates ablehnt.

Da die zionistische Ideologie in so gut wie allen Aussagen gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte verstößt, stellt sich die Frage, wie die Zionisten ihre Weltanschauung moralisch begründen. Darauf geben sie eine klare Antwort: Der Zionismus müsse gegen den Strom agieren und gegen den Willen der Mehrheit bzw. gegen den Gang der Geschichte seine Ziele erreichen. Er unterliege daher „anderen Maßstäben als der „formalen Moralität“. Mit anderen Worten: Der Zionismus hat seine eigenen Gesetze, die nicht mit denen der übrigen Menschheit übereinstimmen.

Welche Mittel die Zionisten bei der Verfolgung ihrer Ziele anwenden, aber welche Gefahren für sie daraus auch erwachsen, hat der israelische Soziologe Baruch Kimmerling an der Politik Ariel Sharons sehr anschaulich aufgezeigt, seine Aussage gilt aber auch für den Zionismus ganz allgemein. Er hat für die israelische Politik den Begriff Politizid geprägt und definiert ihn so: „Mit Politizid meine ich einen Prozess, an dessen Ziel das Ende der Existenz des palästinensischen Volkes als soziale, politische und wirtschaftliche Größe steht. Dieser Prozess kann auch eine teilweise oder vollständige ethnische Säuberung des ‚Landes Israel‘ beinhalten. Diese Politik wird das Wesen der israelischen Gesellschaft unausweichlich zerstören und die moralische Basis des jüdischen Staates im Nahen Osten untergraben. So gesehen wird das Ergebnis ein doppelter Politizid sein – das Ende der Palästinenser, aber auf lange Sicht auch das Ende der jüdischen Gemeinschaft. Die wichtigsten Werkzeuge dafür [für den Politizid an den Palästinensern] sind Mord, lokal begrenzte Massaker, Eliminierung der Führung und der intellektuellen Elite, die physische Vernichtung der Infrastruktur und der Gebäude politischer Institutionen, Kolonisierung, künstlich erzeugte Hungersnöte, soziale und politische Isolation, Umerziehung und gebietsweise ethnische Säuberungen.“ Kimmerling beschreibt hier also genau das, was zurzeit im Gazastreifen stattfindet.

Kimmerling zitiert auch ein Interview, das der israelische Generalstabschef Moshe Yalon in einem Interview mit der Zeitung Haaratz (30.08.2002) gab: „Yalon: ‚Die Merkmale der Bedrohung [durch die Palästinenser] sind unsichtbar, wie beim Krebs. Wenn man von außen angegriffen wird, kann man den Angreifer sehen, man ist verletzt. Der Krebs hingegen ist etwas im Innern. Ich finde das also eher beunruhigend, weil in diesem Fall die Diagnose kritisch ist. (...) Ich behaupte, dass es sich hier um Krebs handelt. (...) Meine fachkundige Diagnose lautet, dass es ein Phänomen gibt, das eine existentielle Bedrohung darstellt.‘ Reporter: ‚Soll das heißen, dass das, was Sie nun als Stabschef im Westjordanland und in Gaza unternehmen, eine Chemotherapie ist?‘ Yalon: ‚Für Krebserkrankungen gibt es alle möglichen Behandlungen. Manche sagen, man muss operieren. Aber im Augenblick führe ich eine Chemotherapie durch, ja.‘“ Mit der „Chemotherapie“ war der Krieg Israels gegen die palästinensische Zivilbevölkerung 2002 gemeint, die Hunderten von Palästinensern das Leben kostete. Kimmerling interpretiert die Aussage Yalons so, dass sie direkt aus der NS-Zeitung Der Stürmer stammen könne.

Offensichtlich führt Israel gerade im Gazastreifen auch eine Chemotherapie durch.

27.03.2024

Arn Strohmeyer ist Journalist und Schriftsteller und lebt in Bremen

hier stellt er sich selbst vor