Gesellschaft Schweiz-Palästina

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The 51 day war

Helga Baumgarten

Kein Frieden für Palästina

Der lange Krieg gegen Gaza. Besatzung und Widerstand

ISBN 978-3-85371-496-6, 192 Seiten, auch als E-Book erhältlich

Promedia Verlag, A-1090 Wien, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!,

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 Besprechungen:

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Annette Grothehemalige menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, Teilnehmerin der Free-Gaza-Flottille

Helga Baumgarten's Buch "Kein Frieden für Palästina" habe ich mit großem Interesse gelesen und kann es nur empfehlen. Als Einleitung schildert die Autorin die schrecklichen Ereignisse im Mai 2021. Die Hintergründe für diese ungeheuren Gewalttaten vonseiten der Israelis in Ost-Jerusalem, in vielen Orten der Westbank und in Gaza mit über 250 Toten und fast 2000 Verletzten haben die deutschen Mainstreammedien weithin verschwiegen. Dass die israelische Armee in ihrer Zerstörungswut sich auf die Dahiya-Doktrin bezieht, dürfte für viele Leser:innen neu sein. Diese Doktrin wurde von General Eisenkot 2006 nach dem Libanon-Krieg entwickelt und verlangt die Anwendung von unverhältnismäßiger Gewalt sowie die Zerstörung der zivilen Infrastruktur, da diese von potentiellen Gewalttätern genutzt werden könnte. Dahiya ist die Basis und Rechtfertigung für die massive Gewalt in den besetzten Gebieten und in Gaza.

Im Rückblick auf die Nakba - die Vertreibung der Palästinenser:innen 1948 - schildert Baumgarten die Brutalität der israelischen Siedler bei der Vertreibung und der Ausplünderung der palästinensischen Bevölkerung und zitiert einen Gewerkschaftsfunktionär: "Es ist kein Zufall, dass Plünderungen und Vertreibung Hand in Hand gehen. Es gibt unausgesprochene, aber (potenziell) sehr wirksame Absichten, keinen Araber im Staat Israel zu lassen“. (S. 24)

Eindrücklich analysiert die Autorin die Perfektion der Kontrolle über die Palästinenser und die diversen Methoden der ökonomischen Ausbeutung, basierend auf einem System der Bevölkerungskontrolle, die seit 1987 in einer digitalen Datenbank alle Informationen über jede/n Palästinenser:in speichert. Damit wurde die Basis für die heutige Überwachungstechnologie gelegt, die ein Exportschlager der israelischen Industrie ist. Leben unter Besatzung bedeutet die absolute Reglementierung aller Aspekte des Lebens durch Verordnungen des Militärs und heißt konkret: willkürliche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen, Häuserzerstörungen, Misshandlungen und Folter, gezielte Tötungen, Verbot von politischen Versammlungen u.v.m.

Baumgartens Erzählungen über die verschiedenen Formen des palästinensischen politischen Widerstands und seiner Führer zeigen eine Blutspur der Vertreibung mit zahlreichen Massakern, die sprachlos macht. Spannend sind die Ausführungen über die Hintergründe der Fatah, der PLO und der Hamas, die in unseren Mainstreammedien geradezu dämonisiert und über die viele Unwahrheiten verbreitet wird.

Wer bislang noch glaubt, dass der Oslo-Friedensprozess Vorteile für die palästinensische Bevölkerung gebracht hätte, wird bei der Lektüre eines Besseren belehrt. Insbesondere die Gründe für den Respekt gegenüber der Hamas und der großen Ablehnung von Präsident Abbas werden durch Baumgartens Analysen verständlich.

Die Autorin betont, dass in den Oslo-Dokumenten ein Hinweis auf einen palästinensischen Staat und das Ende der völkerrechtswidrigen Besatzung fehlt, was aber zentrale palästinensische Anliegen sind. Stattdessen wurde die Anerkennung der PLO als legitime Vertretung der Palästinenser:innen verankert, der Verzicht auf Gewalt vonseiten der Palästinenser:innen (!) und die damit eingegangene Sicherheitsgarantie für die Israelis: „Die PLO gibt den Terrorismus und andere Akte der Gewalt auf und übernimmt Verantwortung über alle Elemente und Personen in der PLO, um zu gewährleisten, dass sich diese an (die eingegangenen Verpflichtungen der PLO) halten…“ (S.94) Damit ist der Grundstein für die bis heute andauernde Kooperation zwischen den israelischen und palästinensischen Geheimdiensten und Polizeieinheiten gelegt, die von vielen Seiten heftig kritisiert wird. Die Gründer der palästinensischen Nationalbewegung wurden so zu Kollaborateuren der israelischen Besatzungsmacht gemacht. Das war Arafats größter politischer Fehler, der bis heute nachwirkt.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Baumgarten dem „permanenten Kriegszustand“ im Gazastreifen, der mit einer bis heute andauernden völkerrechtswidrigen Blockade bestraft wurde, da die Bevölkerung 2006 mehrheitlich für die Hamas stimmte.

Detailliert beschreibt die Autorin die gewalttätigen Bombardierungen, die gezielten massiven Zerstörungen der Infrastruktur, der Krankenhäuser und Schulen, viele unter UN-Verwaltung, die Tausenden von Toten, die die „heißen Kriege“ 2008/9, 2012, 2014, Mai 2021 verursacht haben.

2014 geißelte der ehemalige römisch-katholische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabah, den Krieg gegen Gaza: „Was in Gaza passiert, ist kein Krieg, es ist ein Massaker. Ein sinnloses Massaker, denn es bringt Frieden und Sicherheit für Israel keinen Schritt näher.“ (S.184) Das weitgehende Schweigen der westlichen Demokratien zu diesen Massakern ist skandalös und zeigt deutlich die Missachtung und Verletzung der internationalen Menschenrechtskonventionen und des Humanitären Völkerrechts.

Als Reaktion auf die Blockade Gazas versuchte im Mai 2010 eine Armada von sechs Schiffen mit Hunderten von internationalen Aktivist:innen, Abgeordneten zahlreicher Parlamente und vielen Prominenten wie der verstorbene schwedische Schriftsteller Henning Mankell 10 000 Tonnen an Hilfsgütern nach Gaza zu bringen. Diese Free-Gaza-Flottille wurde von der israelischen Armee in internationalen Gewässern brutal überfallen, wobei 9 türkische Aktivisten teilweise gezielt getötet wurden. Der weltweite Protest war damals groß und da auch zwei deutsche Parlamentarierinnen dabei waren, kam es zu einem einzigartigen Antrag im Deutschen Bundestag, der einmütig angenommen wurde und die Bundesregierung aufforderte, alles zu unternehmen, um die „Forderung  der  Europäischen  Union  nach  einer  sofortigen  Aufhebung  der Gaza-Blockade  mit  Nachdruck  zu  unterstützen…“ (https://dserver.bundestag.de/btd/17/023/1702328.pdf)

Leider hat Helga Baumgarten diesen Antrag vom 30. 06. 2010 „Ereignisse um die Gaza-Flottille aufklären – Lage der Menschen in Gaza verbessern – Nahost-Friedensprozess unterstützen“, eingebracht von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (da die CDU/CSU keinen Antrag mit der Linken einbringt, hat die Fraktion Die Linke einen gleichlautenden Antrag eingebracht) nicht erwähnt. Da dieser Antrag allmählich in Vergessenheit gerät, möchte ich hier an ihn erinnern, zumal er in seinen Forderungen wirklich einzigartig ist, aber nie realisiert wurde.

Die Lektüre dieses Buches ist absolut lohnenswert und auch als Einstiegslektüre für Leser:innen geeignet, die sich noch nicht mit diesem Thema beschäftigt haben. Und auch Menschen, die sich gut damit auskennen, dürften Neues erfahren. Ein besonderer Verdienst Helga Baumgartens liegt auch in ihrer illustrierenden Sprache, die das Buch zu einer spannenden Lektüre macht.

Annette Groth, ehemalige menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, Teilnehmerin der Free-Gaza-Flottille